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Musikalischer Rhythmus im Herzschlag des Menschen

oder die Geschichte der Wiederentdeckung der musikalischen Pulsdiagnostik
 

Medizin Individuell 2000, 2: 17

Bettermann H





Bis in das 19. Jahrhundert hinein war es gängige Praxis, den menschlichen Herzschlag unter musikalischen Gesichtspunkten zu betrachten1. Sowohl die inneren Rhythmen des Herzschlages als auch die Veränderungen der Herzschlagdauer wurden musikalisch notiert. Dieses Vorgehen sollte zur Objektivierung der Befunde dienen und die Kommunikation zwischen Medizinern erleichtern. Da die musikalische Grundbildung zu jedem Medizinstudium gehörte, funktionierte die Verständigung auf diesem Wege hervorragend. Es bedurfte keiner aufwendigen zeitmessenden Technik, um die rhythmischen Proportionen des Pulses zu beschreiben, sondern es wurde eine natürliche Fähigkeit des Menschen genutzt, die es ihm erlaubt, durch direkte Wahrnehmung zeitliche Prozesse im Bereich bis 4 Sekunden präzise aufzulösen - präziser, als es jede damals zur Verfügung stehende Technik konnte. Diese über zweitausend Jahre alte Praxis der musikalischen Pulsdiagnostik wird heute nur noch als Spielerei empfunden, da ihr die naturwissenschaftliche Grundlage zu fehlen scheint. Dies ist ein Irrtum, wie sich durch die Klinische Forschung am Gemeinschaftskrankenhaus herausgestellt hat.

Voraussetzung für den Nachweis musikalischer Rhythmen im Herzschlag des Menschen war eine solide Grundlagenarbeit zur Erforschung der Herzfrequenzvariabilität. Hierzu wurden bis Mitte der 90-er Jahre schwerpunktmäßig Verfahren der Chaostheorie aufgegriffen, die in besonderer Form geeignet zu sein schienen, ein möglichst ganzheitliches (und modellfreies) Bild der komplexen Herzschlagrhythmik zu vermitteln. Die Arbeit endete in dem Nachweis eines strukturellen Wechsels der Herzschlagdynamik zwischen Wachen und Schlafen, hervorgerufen durch ein 'Umschalten' im Rhythmischen System des Menschen2.

Die Erfahrungen und Erlebnisse einer einjährigen Afrikareise und die Überzeugung, Kompositionsprinzipien der afrikanischen Musik in der Herzrhythmik finden zu können, veranlassten mich dann zu Beginn des Jahres 1998, einen neuen Weg zur Herzrhythmusanalyse einzuschlagen. Dabei sollte ein sowohl mathematisch als auch musikalisch fundierter Zugang zum Rhythmischen System des Menschen gefunden werden. Zwei methodische Schritte waren dafür notwendig: die Umwandlung der Herzfrequenzrhythmik in eine musikalisch interpretierbare Rhythmik und dann die Anwendung eines mathematischen Schemas zur Klassifikation von Rhythmen in der Musik afrikanischen Ursprungs (hierzu zählen insbesondere auch die lateinamerikanische Musik, der Blues und der Jazz).

Der erste Schritt wurde realisiert, indem nur zwei Symbole zur Beschreibung eines Herzschlages verwendet wurden. Eine 1 symbolisierte eine Pulsbeschleunigung (in Bezug auf den vorangegangenen Herzschlag) und eine 0 eine Pulsverlangsamung. So entstanden (binäre) Symbolfolgen aus 0en und 1en, die z.B. als Perkussionsmuster verstanden werden können: 1 = Schlag, 0 = Pause. Im zweiten Schritt wurde in diesen Folgen nach musikalischen Rhythmen gesucht, d.h. nach Mustern gesucht, die häufig und mehrfach hintereinander auftraten. Mit diesem Verfahren wurden dann 192 24-Stunden-EKGs analysiert. Das Ergebnis war überaus erstaunlich: Während des Schlafes treten bestimmte Muster bis zu 20 mal häufiger und zyklisch stabiler auf als bei einem zufälligen Herzschlag. Diese musikalische Rhythmisierung wird hauptsächlich durch die Koordination von Herzschlag und Atmung hervorgerufen, und sie kann als wichtiges Maß für den Erholungsprozess des Menschen während des Schlafes gewertet werden.

Eine detaillierte Beschreibung der Ergebnisse finden Sie in den zugehörigen wissenschaftlichen Publikationen der Abteilung3,4, die im Internet zum Herunterladen bereitstehen oder auf Wunsch gerne zugesandt werden. Die Arbeiten haben in der internationalen Fachwelt große Aufmerksamkeit erregt und werden vielleicht sogar zu einer bescheidenen Renaissance der musikalischen Pulsdiagnostik führen.

Dr. Henrik Bettermann, Abteilung für Klinische Forschung am Gemeinschaftskrankenhaus Tel. (0 23 30) 62-33 16

Die Forschung wurde finanziert durch die Weleda AG, Schwäbisch Gmünd.

Literatur

Kümmel W.F., Musik und Medizin - ihre Wechselbeziehungen in Theorie und Praxis, Freiburg 1977

Bettermann H., P. van Leeuwen: Evidence of phase transitions in heart period dynamics, in: Biol. Cybern. 78 (1), S. 63-70, 1998

Bettermann H., D. Amponsah, D. Cysarz, P. van Leeuwen: Musical rhythms in heart period dynamics – a cross-cultural and interdisciplinary approach to cardiac rhythms, in: Am. J. Physiol. 277 (5), H1762-H1770, 1999

Bettermann H., D. Cysarz, P. van Leeuwen: Detecting cardiorespiratory coordination by respiratory pattern analysis of heart period dynamics – the musical rhythm approach", in: Int. J. Bifurcation & Chaos, accepted for publication, 2000

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Last modified 17/06/2005 19:52 (GMT+2)
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